Statt rosa Wölkchen schwirren häufig viele Fragezeichen durch den Raum, wenn zwei Menschen sich einander nähern. Wie Sie mit den – kaum vermeidlichen – Unsicherheiten beim Kennenlernen am besten umgehen.
Anja (36) kommt sich vor wie ein Teenager oder wie die Heldin eines nur mittelprächtigen Films: “Ich habe heute Stunden damit zugebracht, mein Telefon anzustarren und zu denken: ‘Klingle endlich!'” Sie wartet auf einen Anruf ihres Online-Flirts Rafael (40) und kann an nichts anderes mehr denken. “Ich frage mich dauernd, warum er sich nicht meldet. Habe ich bei unserem letzten Telefonat etwas Falsches gesagt? Hat er inzwischen eine andere kennen gelernt, die er besser findet?” PARSHIP-Psychologin Nicole Schiller rät zu mehr Gelassenheit. “Eine gewisse Unsicherheit ist vollkommen normal, wenn zwei Menschen sich einander annähern”, sagt sie. Verliebtheit und Unsicherheit gehören tatsächlich zusammen – zumindest zu Beginn, wenn noch nicht geklärt ist, ob die eigenen Gefühle auch erwidert werden. Das sollten Sie sich immer wieder bewusst machen. Lenken Sie sich ab, wenn Sie zu viel grübeln. Anja hat das beherzigt, ist mit einer Freundin ins Kino gegangen und hatte einen schönen Abend. Als sie nach Hause kam, war Rafael auf dem Anrufbeantworter. Jetzt wartet er auf ihren Rückruf.
Besinnen Sie sich auf sich selbst
Warum fällt es den meisten schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren und Dinge auf sich zukommen zu lassen? Nicole Schiller: “Für die Beteiligten steht immerhin einiges auf dem Spiel. Man ist emotional beteiligt und gibt etwas von sich preis. Natürlich möchte man sich da absichern und sich vor Schmerz und Enttäuschung schützen.” Allzu viel Grübelei ist jedoch der falsche Weg. “Bleiben Sie bei sich”, empfiehlt die PARSHIP-Psychologin. “Das ist zwar leichter gesagt als getan, aber Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie sich auf sich selbst besinnen.” Außerdem machen Sie sich dann weniger abhängig von Ihrem Gegenüber. Statt sich den Kopf zu zermartern darüber, was dem anderen an Ihnen nicht gefallen könnte, sollten Sie lieber den Spieß umdrehen: Wie finde ich den anderen eigentlich? Gerade am Anfang sollten Sie sich um einen möglichst realistischen Blick bemühen. Noch kennen Sie einander kaum und sollten also auch Ihrem Gegenüber keine Wichtigkeit zuordnen, die er oder sie noch gar nicht hat.
Manche Aufregung kann man sich sparen
Gerade bei der Online-Partnersuche ist der Kennenlern-Prozess ist ein völlig anderer als beim Flirten in freier Wildbahn. Das musste auch Albert (46) erfahren, der nach ein paar Mails, die er mit Liane (44) ausgetauscht hatte, der festen Überzeugung war, sie sei die Frau seines Lebens. “Ich habe wirklich geglaubt, wir wären Seelenverwandte. Als ich ihr Foto gesehen habe, war ich sicher, dass sie diejenige welche ist”, erinnert er sich. “Vor dem ersten Treffen war ich irrsinnig aufgeregt. Ich wusste ja nicht, ob sie genauso empfindet.” Wie sich herausstellte, waren seine Bedenken überflüssig, denn beim ersten Date sprang der Funke bei beiden einfach nicht über. Nicole Schiller kennt das Problem: “Das Internet verführt dazu, Wunschvorstellungen freien Lauf zu lassen und in den anderen sehr viel hineinzuinterpretieren.” Hinzu kommt ein gewisses Prickeln, denn bei der Online-Partnersuche wissen ja beide Seiten von Anfang an, worauf das Ganze bestenfalls hinausläuft. Bei jedem Kontakt stellt sich die Frage: Hopp oder Topp? Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Hat er oder sie noch andere Eisen im Feuer? Auch hier gilt: Machen Sie sich nicht verrückt, die Kontakte zu anderen Online-Flirtern erledigen sich meist sehr schnell, wenn echte Gefühle auf beiden Seiten ins Spiel kommen.
Wenn die Unsicherheit bleibt
Problematisch wird es, wenn Unsicherheit länger bestehen bleibt und sich nicht beseitigen lässt. Nicole Schiller: “Wenn Sie merken, dass Ihr Gegenüber unsicher ist, versuchen Sie, ihm oder ihr diese Unsicherheit zu nehmen.” Wenn Sie nicht interessiert sind, sollten Sie das fairerweise deutlich machen. Sie selbst sind noch unsicher? Dann sprechen Sie Ihre Empfindungen offen aus. Wenn sich das Gefühl trotz positiver Signale vom anderen nicht von allein verabschiedet, hängt das meist weniger mit dem anderen als mit einem selbst zusammen. “Dann”, so Nicole Schiller “sollten Sie sich Gedanken machen, woran das liegen könnte. Oftmals ist das nämlich ein Zeichen, dass man sich mit einem ganz anderen Thema quält.” Häufig steckt Verlustangst dahinter, ausgelöst vielleicht durch eine schmerzhafte Trennung. Im Normalfall verflüchtigen sich anfängliche Bedenken und Ängste jedoch ganz von allein, sobald Sie den anderen besser kennen und Ihre Gefühle erwidert werden. Langsam stellt sich dann eine Sicherheit ein, die die beste Grundlage für eine funktionierende und glückliche Beziehung bildet.